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NEW DELHI oder Wie ich es nicht schaffte mich von den Tuk-Tuk-Fahrern fernzuhalten

„Das Abenteuer kann beginnen“, denke ich 9 Stunden nachdem ich am Frankfurter Flughafen in meinen Flieger nach Indien eingestiegen bin. Jetzt bin ich auf einmal in einem Hotel mitten in New Delhi, der pulsierenden Hauptstadt Indiens. Ich habe mich gerade dazu entschieden, zum nächstgelegenen Bankautomaten zu laufen, indische Rupien abzuheben und dabei vielleicht ein wenig das Stadtviertel Karol Bagh zu erkunden. Der Rezeptionist des Hotels wirkt etwas besorgt, als ich ihm meinen Zimmerschlüssel zur Aufbewahrung gebe und dabei auch mein Vorhaben erwähne. „Weißt du, morgen bieten wir auch eine geführte Erkundungstour mit einem lokalen Guide an. Der kann dir hier alles zeigen“, sagt er. „Das klingt gut“, sage ich. „Für heute möchte ich ja nur zum Geldautomaten gehen und ein paar Rupien abheben.“ Der Rezeptionist wackelt zögerlich mit dem Kopf und erklärt mir den Weg zum Bankautomaten. Der Weg klingt ein wenig kompliziert, aber ich bin zuversichtlich, dass ich ihn finden werde. Anschließend überreicht mir der Rezeptionist die Visitenkarte des Hotels für den Fall, dass ich mich verlaufe. „Und da ist noch etwas“, sagt er zögerlich. „Halte dich bitte von den Tuk-Tuk-Fahrern fern. Steige auf keinen Fall in ein Tuk-Tuk ein.“ „In Ordnung“, gebe ich etwas verwundert zurück. Wieso sollte ich auf meinem Weg zum Bankautomaten auch in ein Tuk-Tuk einsteigen?


Als ich die angenehme Kühle des klimatisierten Hotels verlasse und nach draußen in die fast 40 Grad heiße Stadt trete, prasselt eine Fülle von Eindrücken auf mich ein. Das ohrenbetäubende Hupen der Fahrzeuge, der Geruch von würzigem street food, vermischt mit beißendem Rauch und einer Note, die mich etwas unangenehm an Urin erinnert, zahlreiche Rollerfahrer, die sich mutig an den viel zu schnell fahrenden Autos vorbeischlängeln, ein Straßenverkäufer, der Chai-Tee aus einem kupfernen Kessel verkauft. Und zahlreiche Tuk-Tuk-Fahrer, deren Aufmerksamkeit sich auf mich zentriert zu haben scheint.

Einer von ihnen hat sein Fahrzeug direkt vor dem Hotel geparkt, springt sogleich aus seinem Wagen und tritt mit einem breiten Lächeln auf mich zu. „Wo möchten Sie hin?“, fragt er mich. „Ich heiße Raj und ich gehöre zu Ihrem Hotel.“ „Zu meinem Hotel?“, frage ich irritiert. „Ja genau, ich kann Sie überall hinbringen.“ „Nein, vielen Dank“, sage ich ihm und möchte weitereilen. „Ich kann Ihnen auch das Stadtviertel Karol Bagh zeigen“, schlägt er vor. „Wie gesagt, ich gehöre zum Hotel.“ „Nein, danke“, sage ich noch einmal und laufe schnell weiter. „You want tuk-tuk?“, fragt mich Sekunden später der nächste Tuk-Tuk-Fahrer. „No, thank you“, sage ich erneut und möchte weiterlaufen. Doch auch dieser Tuk-Tuk-Fahrer lässt sich von meiner Abfuhr nicht beeindrucken und fährt eine Weile neben mir her. „Are you sure?“, hakt er nach. „I’ll make you good Indian price.“ Ich laufe ein wenig schneller, komme schließlich an eine Weggabelung, bleibe eine Weile unschlüssig dort stehen und überlege, welches Seitenstraße nach links der Rezeptionist nun genau gemeint haben könnte. Stehenzubleiben scheint ein Fehler zu sein, wie ich feststellen muss, als zwei Tuk-Tuk-Fahrer anhalten und mich ansprechen. Ich drehe mich von ihnen weg.


„Where are you from?“ fragt mich auf einmal ein kleiner hagerer Mann, der kein Tuk-Tuk-Fahrer zu sein scheint. „Germany“, antworte ich knapp. „Ah Germany“. „What’s your name?“, fragt er dann. „Carolin.“ „My name is Sanjay. Welcome to India. Schauen sie mal. Wenn Sie einfach nur dieser Straße folgen, gibt es dort nichts Interessantes. Wenn Sie hingegen nach rechts gehen, ist dort der Markt und ein paar

andere Dinge. Kommen Sie, ich führe Sie hier rum.“ „Ich will nur zum Bankautomaten etwas Geld abheben“, sage ich schnell. „Sie möchten zum Bankautomaten. Gut, ich führe Sie zum Bankautomaten“, sagt er und geht vor. Ein wenig unschlüssig bleibe ich stehen, dann entschließe ich mich dazu, ihm zu folgen. Solange er mich nicht in irgendeine entlegene Gasse führt, wird das schon okay sein, überlege ich. Sanjay scheint mein Unbehagen zu spüren und redet und redet. „In welchem Hotel sind Sie? Sie können mir vertrauen, ich arbeite auch in einem Hotel und zwar in ‚The best Delhi View‘. Ich habe gerade Feierabend gemacht. Sehen Sie, hier ist das Studentenviertel von New Delhi. Haben Sie keine Sorge. Indien ist ein sicheres Land.“

Wir folgen einer menschenüberfüllten Straße, in der sich enge Marktstände dich an dicht aneinander reihen. Ich erhasche einen Blick auf einen Barbier, der gerade einen Mann frisiert, auf dem Boden sammeln sich die Haare diverser Kunden, die er an diesem Tag wohl bereits frisiert hat. Beide schauen mich neugierig an. An einem weiteren Stand werden bunte Gewürze verkauft. Ich sehe riesige Säcke, die fast überquellen mit rot leuchtenden, getrockneten Chilischoten, daneben ein Berg goldgelber-Kurkuma. Zwischen den Menschenmassen und Fahrzeugen trotten Kühe den Weg entlang, die sich an dem Verkehr und dem lauten Hupen der Autos nicht zu stören scheinen. Am Straßenrand liegen hagere Straßenhunde mit eingerissenen, spitzen Ohren und verfolgen das Geschehen aufmerksam, in der Hoffnung ab und an einen Happen Essen abzubekommen. Wir passieren zahlreiche Marktstände und ich muss gestehen, dass mir der Weg zum Bankautomaten sehr lang vorkommt. Hinzu kommt, dass ich noch immer meine Zweifel daran habe, dass dieser Mann mich wirklich zu einem Bankautomaten führen möchte. Doch nachdem wir eine belebte Verkehrsstraße passiert haben, bin ich tatsächlich etwas erstaunt, als vor meinen Augen auf einmal eine Bank auftaucht. „Sehen Sie, Sie können mir vertrauen“, sagt der Mann und wirkt dabei sehr zufrieden mit sich.

„Okay, haben Sie vielen Dank“, sage ich und schäme mich dabei fast ein wenig für mein Misstrauen. Eilig laufe ich die Stufen zur Bank hoch. Ich kalkuliere im Kopf, wie viele Rupien ich wohl in der nächsten Woche brauchen werde und tippe den Betrag von 5000 Rupien ein, was in etwa 60 Euro entspricht. Der Automat spuckt meine Karte sofort wieder aus. „Kommen Sie her“, sagt ein Mann, der gerade Geld an dem anderen Automat abgehoben hat. „Dieser Automat hier funktioniert.“ Tatsächlich nimmt dieser Automat meine Karte an und ich kann meine 5000 Rupien abheben. Als ich aus dem Bankgebäude heraustrete, stelle ich etwas überrascht fest, dass Sanjay draußen vor dem Bankgebäude auf mich gewartet hat. „Got your money?“ fragt er mich, als ich ihn etwas irritiert anblicke, um dann hinzuzufügen: „Was haben Sie denn heute Abend vor?“ „Ich treffe mich mit meiner Reisegruppe“, antworte ich. „Und was machen Sie danach?“ „Ich bin heute lange mit meiner Reisegruppe unterwegs“, sage ich. „Und wie sieht es morgen aus? Wissen Sie“, sagt er mit einem breiten Lächeln, bei dem er eine große Zahnlücke enthüllt: „Ich kann Ihnen nämlich eine Tuk-Tuk-Rundfahrt empfehlen, damit Sie die Stadt erkunden können. Sie bekommen einen guten Preis." Verdammt, was haben diese Leute nur mit ihren Tuk-Tuks? Langsam werde ich ungeduldig: „Ich habe Pläne und möchte jetzt gerne zurückgehen“, sage ich bestimmt. „Nun gut“, sagt er unverkennbar enttäuscht.


Ich mache mich eilig auf den Weg zurück zum Hotel. Zurück an der belebten Verkehrsstraße warte ich darauf, diese überqueren zu können. Zu meiner Überraschung gibt es dort auch eine Ampel, die rot anzeigt, sodass ich warten muss, was mir ein ungutes Gefühl gibt. Meinen jüngsten Erfahrungen nach zu schließen, ist es in diesem Viertel besser in Bewegung zu bleiben, um nicht als touristische Zielscheibe herhalten zu müssen. Während ich warte, spüre ich von der Seite bereits die Blicke eines weiteren Mannes, der ebenfalls darauf wartet, die Straße überqueren zu können. Ich drehe ihm den Rücken zu, doch merke bereits aus dem Augenwinkel, dass er langsam auf mich zutritt und auf eine Gelegenheit wartet, mich ansprechen zu können. Ich fahre zu ihm herum: „No, I don’t want a tuk-tuk“. Ein wenig überrumpelt hält er inne und setzt dann zum Sprechen dann. Ich warte seine Antwort gar nicht erst ab, denn die Ampel springt endlich auf Grün, sodass ich mich wieder darauf fokussieren kann, diese Verkehrsstraße zu passieren. Blöd ist nur, dass keines der Autos tatsächlich stehen bleibt. Die Verkehrsstraßen hier in Indien zu überqueren gehört für mich definitiv zu den größeren Herausforderungen, die dieses Land für mich bereithält. Es erfordert eine gehörige Portion Selbstbewusstsein vermischt mit einer Prise Mut und dem Vertrauen, dass die Autofahrer auch tatsächlich stehenbleiben werden, um auf die belebte Verkehrsstraße zu treten, während die Autos und Rollerfahrer aus allen Richtungen an mir vorbei rasen und dabei ein ohrenbetäubendes Hupkonzert veranstalten. Zu meinem Glück scheinen einige die rote Ampel zumindest als Hinweis anzusehen, auf die Fußgänger zu achten. Einige halten an, als ich die Straße überquere.

Auf der anderen Seite angekommen, kommt mir auf einmal Raj, der Tuk-Tuk-Fahrer mit dem breiten Lächeln, der angeblich zum Hotel gehört, entgegen. „Da sind Sie ja“, sagt er, ganz so als hätte er nur auf mich gewartet. „Steigen Sie ein, ich bringe Sie zurück zum Hotel“, bietet er mir an. „Ich gehöre ja zum Hotel“, erinnert er mich zum wiederholten Mal. „Vielen Dank, ich werde laufen“, sage ich sofort. „Kommen Sie schon.“ „Aber ich mag es zu laufen“, beharre ich. „Okay“, sagt er und düst wieder zurück.

Der Weg zurück zum Hotel kommt mir auf einmal deutlich länger als am Anfang vor. Wie weit bin ich mit diesem Sanjay eigentlich gelaufen? Auf einmal bin ich mir gar nicht mehr so sicher, welche nun die richtige Seitenstraße ist, die mich zum Hotel führt. Müsste ich nicht langsam dort sein? Als hätte er meine Unsicherheit gespürt, steht auf einmal schon wieder Raj mit seinem Tuk-Tuk vor mir. „Komm, steigen Sie ein“, sagt er erneut. „Die Fahrt ist umsonst.“ „Ach verdammt“, überlege ich. Es ergibt tatsächlich wenig Sinn mit meinen nicht vorhandenen Ortskenntnissen ohne Handyempfang oder der Möglichkeit, eine Ortsnavigation zu nutzen, durch dieses Viertel zu irren. Gehört dieser Mann vielleicht tatsächlich zum Hotel? Hier in Indien scheint irgendwie alles möglich zu sein. Ich steige in sein Tuk-Tuk ein und düse mit ihm durch das belebte Marktviertel. Mir kommt die Warnung des Rezeptionisten wieder in den Kopf, mich von den Tuk-Tuk-Fahrern fernzuhalten. Wie ironisch, dass ich nun mit einem eben solchen den Rückweg antrete. Wir biegen in eine Seitenstraße ein und kurz darauf blitzt tatsächlich die Fassade meines Hotels auf. Zum zweiten Mal an diesem Tag bin ich erstaunt, dass ich tatsächlich an meinem Ziel angekommen bin. Ich bedanke mich überschwänglich bei meinem Tuk-Tuk-Fahrer für seine Großzügigkeit. Gerade, als ich aussteigen möchte, fängt er erneut an zu reden: „Was haben Sie eigentlich morgen vor? Ich kann Ihnen eine Tour in meinem Tuk-Tuk anbieten und Ihnen die Stadt zeigen.“ „Vielen Dank, wir machen morgen bereits eine Tour, die vom Hotel organisiert wird.“, erwidere ich. „Ja, bei dieser Tour sehen Sie aber nur New Delhi. Ich hingegen zeige Ihnen einen ganz anderen Teil der Stadt. Sehen Sie, es ist Ihre Entscheidung. Ich zwinge Sie nicht, Sie können sich ganz frei entscheiden.“ sagt er. Ich lächele zurück und antworte: „Das ist sehr freundlich von Ihnen, dass ich mich frei entscheiden darf. Ich entscheide mich, jetzt ins Hotel zu gehen“. Ich springe aus dem Tuk-Tuk heraus und laufe zurück in die angenehme Kühle des Hotels. „Haben Sie ihr Geld?“, fragt mich der Rezeptionist. Ich werfe ihm einen irritierten Blick zu. Da fällt mir auf einmal wieder ein, dass ich ja nur draußen war, um etwas Geld abzuheben. „Ja, habe ich.“


Zurück im Hotelzimmer, stelle ich fest, dass nur zwanzig Minuten vergangen sind seit meiner Entscheidung, das Hotel zu verlassen. Wie viele Erlebnisse kann man in nur zwanzig Minuten haben? Willkommen in Indien, willkommen in New Delhi.


 

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Ich bin Caro, Sonderpädagogin aus Köln. Gerade befinde ich mich auf einer mehrmonatigen Asien-Reise und erzähle Geschichten von unterwegs.

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